„Ich hege nicht den leisesten Hass in meinem Herzen. Aber wir dürfen nicht vergessen.“
Felix Kolmer wurde am 3. Mai 1922 in Prag geboren. Dort wuchs er im Stadtteil Královské Vinohrady in wohlbehüteten Verhältnissen auf. Einen Großteil seiner Kindheit und Jugend verbrachte Felix bei den Pfadfindern. Die Prägung, die er dort erhielt, beeinflusste seinen Überlebenswillen während der Verfolgungszeit sehr.
Mit der Besetzung Prags am 15. März 1939 erfuhr auch die Familie Kolmer die Auswirkungen der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Da das Viertel Královské Vinohrady „judenrein“ sein sollte, musste sie ihr Haus verlassen und in die Wohnung der Großmutter in der Dlouhá ziehen. Felix begann als achtzehnjähriger Abiturient in einer Werkstatt als Tischlehrlehrling – eine Hochschulausbildung war ihm verboten.
Mit Beginn des nationalsozialistischen Massenmords an den Juden erhielt Felix im Herbst 1941 die Vorladung zu einem „längeren Arbeitseinsatz“. Es war der 24. November als er sich mit weiteren jungen Leuten zum Transport auf dem Masaryk-Bahnhof einfinden musste. Gemeinsam bildeten sie das sog. AK I, das erste Aufbaukommando des zukünftigen Ghettos und späteren „Sammel- und Durchgangslagers“ Theresienstadt.
Felix litt ebenso wie die anderen Häftlinge unter den elenden Bedingungen des überfüllten Ghettos. Trotz der Brutalität der Aufseher, fürchtet sich Felix nicht vor Schlägen, Gefängnis oder Hunger. Angst hatte er nur, wie alle anderen auch, vor einem Abtransport in eine unbekannte Zukunft. Denn die Anwesenheit in Theresienstadt bedeute für die Gefangenen, so lange als möglich bei ihren Nächsten zu sein. So auch für Felix, dessen Mutter und Großmutter im Dezember 1941 ankamen. Die Mutter starb in Theresienstadt, die Großmutter 1956 in einer Anstalt in Pilsen.
Im August 1942 traf Felix Freundin aus Kindheitstagen, Liane, mit ihrer Mutter in Theresienstadt ein. Felix gab Liane als seine Verlobte an, da die Mitglieder des AK I eine gewisse „Immunität“ vor dem Abtransport genossen. Zwei Jahre später, im Juni 1944, heiratete Felix seine Liane. Im Herbst 1944 wurden die Häftlinge des Theresienstädter Ghettos massenweise in Transporte eingeteilt. Am 16. Oktober 1944 befand sich auch Felix unter den Betroffenen. Liane, die nicht auf der Transportliste stand, versuchte Felix zu folgen, wurde jedoch von SS-Scharführer Rudolf Haindl mit einem Knüppel von der Rampe des Zuges verjagt. Dies sollte ihr Leben retten, denn der Zug mit Felix ging nach Auschwitz.
Felix erlebte in Auschwitz unfassbare Gräueltaten und Leid. Es wurde gefoltert, gemordet und verbrannt. Das schier unerträgliche Dasein führte bei Felix zum Verlust seines Zeitgefühls, er erinnerte sich jedoch genau an die Grausamkeiten der Kapos, die Erniedrigungen, die Appelle, die Selektionen und den Hunger. Der Gedanke, seine Liane wiederzusehen, hielt ihn am Leben. Schließlich wurde er zur Arbeit in Schwefelgruben abkommandiert, was für ihn den sicheren Tod bedeutet hätte. Wie durch ein Wunder gelang es Felix, diesem Schicksal zu entgehen. Im Durcheinander des Abtransports stieg er nicht in den für ihn bestimmten Waggon ein, sondern in einen der nächsten. Der Zug führte ihn ins Lager Friedland, das zum KZ Groß-Rosen gehörte.
Anfang Mai stand die Rote Armee kurz vor Friedland. Als die Front so nahe kam, dass das Grollen der Geschütze schon zu hören war, planten Felix und einige weitere Häftlinge ihre Flucht. In der Nacht vom 8. zum 9. Mai trafen sowjetische Flugzeuge das Kraftwerk, das die Suchscheinwerfer und Elektrozäune des Lagers mit Strom versorgte. Die Gefangenen schnitten ein Loch in den Zaun und liefen davon. Nach Jahren des Martyriums war Felix endlich frei. Die vierhundert Gefangenen, die des Nachts nicht flüchten konnten, weil ihre halb verhungerten Körper sie nicht mehr tragen konnten, wurden von den SS-Männern erschossen.
Auf dem Heimweg geriet Felix ein letztes Mal in Lebensgefahr, als ein ungarischer Soldat mit aufgesetztem Bajonett direkt auf ihn zustürmte. Doch kurz bevor er Felix erreichte wurde er von einem tödlichen Schuss getroffen. Dabei löste sich eine Soldatenschüssel von seinem Gürtel und schlug Felix ins Gesicht. Es war das erste Mal, dass Felix dachte, sein Ende sei gekommen. Er nahm die Schüssel zur Erinnerung daran, dass er einmal wirklich Angst gehabt hatte. Ihm wurde klar, dass er bislang wie durch ein Wunder vor dieser Angst verschont geblieben war, und dass er ansonsten schon längst wahnsinnig geworden wäre.
Schließlich kehrte er nach Prag zurück, wo Liane bereits auf ihn wartete. Felix begann ein Studium an der Technischen Universität und wurde Elektroingenieur. 1950 kam der gemeinsame Sohn Ivo zur Welt. Vier Jahre später wurde ihr zweiter Sohn Jan geboren. Felix studierte weiter Physik, das Fach Akustik, und erlangte 1959 den Doktortitel. Er habilitierte sich 1965 und erhielt 1982 an der Technischen Universität Prag den Titel Professor. Felix schrieb zahlreiche wissenschaftliche Artikel und Bücher und wurde in seinem Fach weltbekannt.
Bis heute engagiert Felix sich in verschiedenen Organisationen, unter anderem im Internationalen Auschwitz-Komitee und als Vorsitzender im Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte e.V. Er war beteiligt an den Verhandlungen, die zur Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und der Entschädigungszahlung für die überlebenden NS-ZwangsarbeiterInnen führten.
Schon viele Male hat Felix Kolmer vor Schulklassen und Jugendgruppen über sein Verfolgungsschicksal berichtet. Ihm ist es vor allem ein Anliegen, der heutigen Generation klar zu machen, dass sie keine Schuld, aber eine große Verantwortung trägt: Die Verantwortung dafür, aus der Vergangenheit zu lernen und eine bessere Zukunft aufzubauen. Für seine zahlreichen Verdienste erhielt Felix Kolmer neben vielen anderen Ehrungen das Bundesverdienstkreuz.