„Ich weiß, was die Flucht in ein fremdes Land bedeutet.“
Harry Dreifuss wurde am 18. Mai 1935 in Mannheim geboren. In diesem Jahr radikalisierte sich die nationalsozialistische Judenpolitik zusehends. Mit den Nürnberger Gesetzen wurden jüdische Bürger zu Menschen minderen Rechts degradiert und damit ihre gezielte Verfolgung vorbereitet. Die Familie Dreifuss war aufgrund ihrer jüdischen Herkunft direkt von den Nürnberger Gesetzen betroffen. Zudem war der Großvater von Harry Dreifuss Obmann der SPD und geriet somit auch als Oppositioneller ins Visier der Nazis.
Mitte 1935 warnten Freunde des Großvaters die Familie, dass sie bald verhaftet werden sollte. Sie entschieden, so schnell wie möglich zu fliehen. Ende 1935 gelangten sie zunächst nach Bern. Von dort ging es 1936 nach Tel Aviv in Palästina. Auch hier spürte Harry die Angst vor den Deutschen in seiner unmittelbaren Umgebung. Seine Familie hatte Angst, dass die Wehrmacht über Nordafrika oder über die Türkei heranrücken könnte. Noch heute erinnert er sich an eine Landkarte im Hausflur, auf der man den Vormarsch der deutschen Truppen mit Stecknadeln markiert hatte.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entschieden sich Harrys Eltern im Jahr 1955 nach Deutschland zurückzukehren und in Mannheim einen Neuanfang zu wagen. Harry immatrikulierte sich 1959 an der Höheren Staatlichen Fachschule für Fotografie in Köln und schloss 1961 sein Studium ab. Im Sommer 1959 heiratete er in Israel seine Verlobte Tamar Rosenzweig-Schapiro, die als Kind mit ihrer Mutter aus einem Durchgangslager hatte fliehen können und so der Deportation in ein Vernichtungslager entkommen war. Nach der Heirat gingen Harry und Tamar Dreifuss zusammen nach Köln.
Das Leben im Land der Täter war für Harry zunächst nicht einfach. Nur mit der jungen Generation war eine unbefangene Begegnung möglich. Anfang der 1960er Jahre drehte Harry den Kurzfilm „Begegnungen“, der den Umgang der Deutschen mit jüdischen Remigranten aufzeigt. Später arbeitete Harry als Kameramann und begleitete die „Nazijäger“ Beate und Serge Klarsfeld beim Aufspüren des ehemaligen Kölner Gestapochefs und Befehlshabers der Sicherheitspolizei (Sipo) sowie des Sicherheitsdienstes (SD) in Paris, Kurt Lischka. Lischka lebte, wie viele Naziverbrecher, bis dahin völlig unbehelligt in Deutschland und konnte dank Serge Klarsfeld, Beate Klarsfeld und Harry Dreifuss als Nazi-Verbrecher entlarvt werden. Heute lebt Harry Dreifuss mit seiner Frau Tamar in der Nähe von Köln.