Heidi Delbeck / Zweite Generation NS-Verfolgter / Mitglied des „Bundesverband Information und Beratung NS-Verfolgter, e.V.“ / Angehörige der „Nachkommen NS-Verfolgter-Regionalgruppe Süd“ /Delbeck8@t-online.de
Offener Brief Gstadt, 1. September 2023
Per Email an den
Stellvertretenden Ministerpräsidenten des Landes Bayern
Hubert Aiwanger
Sehr geehrter Herr Aiwanger,
„Die Menschen“ vor Ort und ihre Stimmen liegen Ihnen, wie Sie es unermüdlich in die Mikrophone sprechen, ganz besonders am Herzen. Da sollte ich auf keinen Fall schweigen und Ihnen meine ganz persönlichen Fragen stellen und gerne schlage ich Ihnen einen besonderen Wahlkampfwanderweg durch Ihre niederbayerische Heimat vor.
Sie starten in Straubing.
Es ist der 13.4.1945.Vor dem mit KZ-Häftlingen überfüllten Gefängnis Straubing kommt ein Lastwagen an, vom Gefängnis und Hinrichtungsort München-Stadelheim. Französische, österreichische, deutsche Häftlinge werden heruntergejagt ,die mittransportierte Guillotine wird pfleglich abgeladen. Mein Vater, gezeichnet von Folter in diversen Gestapokellern, zum Tode verurteilt und zur Hinrichtungsstätte München-Stadelheim in die Todeszelle verbracht, ist darunter.
Es ist der 25.4.1945. Sie folgen der Route durch die niederbayerische Landschaft vorbei an den Bauernhöfen, durch die Orte und an den Orten vorbei, die 3000 entkräftete, gejagte Häftlinge , zurücklegen. Ja, der Elendszug mit Ziel KZ-Dachau zieht durch Niederbayern. Er ist nicht zu übersehen, für alle hörbar und später erinnerbar. Mein von Ödemen übersäter Vater kann sich nicht mehr aufrecht halten, er wird von Kameraden heimlich gestützt, sonst würde er erschossen.
Wandern Sie einfach weiter durch Moosburg, wo sich das Grab des Widerständlers Karl Delbeck befindet und wo ich aufgewachsen bin. Bevor Sie nach Dachau gelangen, führt Sie der Weg nach Hallbergmoos. Am Ortseingang vor dem Gedenkstein machen Sie Rast und haben Zeit zum Lesen.
Der Heimat- und Traditionsverein Hallbergmoos weihte 2016 feierlich unter dem Motto „Gegen das Vergessen“ einen Gedenkstein zur Erinnerung an zwei Todesmärsche ein. Sie lesen die Biographie des ehemaligen Bürgermeisters von Longwy in Frankreich, Albert Labro, der sich auf dem Todesmarsch von Straubing nach Dachau befand, und nach seiner Befreiung am 8.5.1945 in Hallbergmoos verstarb. Den Granitstein stiftete übrigens MdL Benno Zierer.
Hier an diesem Ort, stelle ich Ihnen meine Fragen:
Graut Ihnen an diesem Ort der Einkehr nicht selbst vor dem nächsten eingeübten Bierzeltgeklatsche und Ihrem„ Die Menschen“-Geschrei, während sich an vielen Orten Bayerns Menschen in zivilgesellschaftlichem Engagement, in politischer , historischer, pädagogischer, biographischer Verantwortung sich in vielfältiger Weise für Erinnerung und gegen das Vergessen einsetzen .
Graut Ihnen nicht selbst vor Ihrer Schmutz-Kampagnen-Lamentiererei, die Sie dank der bekannten Beratungsstrategien als besonders gelungen betrachten und Ihrem angeblich geläuterten Erwachsensein scheint die würdelose Behandlung und Verunglimpfung der NS-Opfer und ihrer Familien nicht abhandengekommen zu sein.
Eine letzte Frage stelle ich Ihnen als ehemalige Lehrerin des Sophie-Scholl-Gymnasium München:
Lesen Sie oder werden Sie mit ihren Kindern Flugblätter des Widerstandes lesen und legen Sie das nazistische Gesinnungspamphlet des Schuljahres 87/88 als Mahnung daneben?
Heidi Delbeck
Bitte helfen Sie uns dabei, einen Tag Freude zu verschenken.
Wir möchten die Überlebenden aus unseren Erzähl- und Begegnungscafés mit einem Besuch im Duisburger Zoo überraschen. Sie sollen einfach einmal abschalten und sich freuen können. Da wir uns als gemeinnütziger Verein allerdings lediglich über Spendengelder und projektgebundene Mittel finanzieren, wenden wir uns heute an Sie! Könnten Sie uns bitte mit einer Geldspende helfen, damit wir den Überlebenden diese Freude bereiten können?
Die Überlebenden – wie auch wir – wären Ihnen sehr dankbar!
„Wer waren die Menschen, die von den Nazis verfolgt wurden?“, fragt der Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. (BVNS) anlässlich des Gedenkjahres 2022.
Auf seinen Social-Media-Kanälen erzählt der BVNS seit Juni unter dem #ZumFeindGemacht Geschichten von Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und damit „zum Feind gemacht“ wurden.
Dabei stehen Menschen im Mittelpunkt, die aus ganz unterschiedlichen Gründen in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt, zwangssterilisiert, gefoltert oder ermordet wurden. Zum Beispiel wegen ihrer sexuellen Orientierung, weil sie psychisch erkrankt waren, weil sie die „falsche“ Hautfarbe hatten, weil sie ihre politischen Überzeugungen nicht aufgeben wollten oder einfach nur, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort ihre Meinung gesagt haben.
Da ist zum Beispiel die Geschichte von Willi Heckmann, der als homosexueller Künstler verfolgt worden ist und acht Jahre lang in Konzentrationslagern eingesperrt war, wo er auf Befehl Himmlers ein Häftlingsorchester gründen und vor SS-Größen aufspielen musste. Der, nachdem er diesen Terror überlebt hat, als homosexueller Mann keine Chance auf eine finanzielle Wiedergutmachung hatte. Oder die Geschichte von Maria Potrzeba, die als junges Bauernmädchen freundschaftlichen Kontakt zu polnischen Zwangsarbeitern hatte, daraufhin von der Dorfgemeinschaft als „Polenliebchen“ diffamiert und von der Gestapo unter Gewalt zu einem falschen Geständnis gezwungen wurde, das sie in ein Jugend-KZ brachte.
Der BVNS veröffentlicht den neuen Podcast im Rahmen der Social-Media-Kampagne #ZumFeindGemacht anlässlich des 70. Jahrestags der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens am 10. September 2022, das die Grundlage für alle weiteren Regelungen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts darstellt. Zu Wort kommen Nachkommen der NS-Verfolgten, wie z.B. der Regisseur Klaus Stanjek, der als Neffe von Willi Heckmann einen Film über seinen Onkel gedreht hat und damit auch das Thema des Verschweigens der nationalsozialistischen Verfolgung in seiner Familie verarbeitet. Historiker*innen wie Dr. Insa Eschebach, Religionswissenschaftlerin und Publizistin, erklären historische Hintergründe.
Außerdem diskutieren wir mit weiteren Expert*innen, wie dem Journalisten Stephan Anpalagan, was das alles – Diskriminierungen, Rassismus und Antisemitismus – heute noch mit uns zu tun hat. Zum Beispiel, wenn wir die Geschichte von Heinz Kerz erzählen, der als Sohn eines französischen Besatzungssoldaten als Schwarzer Mensch geboren wurde. In dem talentierten jungen Fußballer, der in seiner Heimat wegen seiner Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft überall beliebt war, sahen die Nationalsozialisten nur “minderwertiges Leben”. Sein Schicksal: Zwangsterilisation und KZ-Haft.
Moderiert wird der #ZumFeindGemacht-Podcast von der freien Journalistin und Podcasterin Nora Hespers, die außerdem das Buch „Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich“ geschrieben hat und von ihrem Großvater, dem Widerstandskämpfer Theo Hespers erzählen wird.
Zu hören gibt es #ZumFeindGemacht ab dem 9. September 2022 auf den bekannten Streamingplattformen Spotify, Apple Podcast, Deezer, Amazon Music sowie auf der Website
Kontakt:
Lena Knops
Projektkoordinatorin #ZumFeindGemacht
Mail: knops@nsberatung.de
Telefon: 0221 17 92 94 18
"Biografiewerkstatt", "Fremd sein - Was ist das?", "Zeitzeugentheater": Unsere Bildungsprojekte haben nun eine eigene Website! Schaut euch um und informiert euch, wie wir gemeinsam mit Zeitzeug*innen, Schüler*innen und jungen Erwachsenen sowie allen Interessierten zu einer guten Erinnerungskultur beitragen. Gemeinsam gegen Rassismus, Antisemitismus und jegliche Form von Diskriminierung. Gemeinsam gegen das Vergessen. Klickt vorbei: https://bildungsprojekte.nsberatung.de/