„Fragt, solange es jemanden gibt, den ihr fragen könnt. Damit unsere Kinder und Enkel diesen Schrecken nicht erleben müssen.“
Am 7. Oktober 1936 wurde Donya Pentetska in Fraydorf im Gebiet von Nikopol geboren. Sie war das zweite von insgesamt drei Kindern.
Der Krieg begann für Donya mit dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Ab diesem Zeitpunkt musste sie vor den Deutschen fliehen, da diese nach Weißrussland und ins ukrainische Gebiet eindrangen. Im Juli 1941 wurde Donyas Vater zum Militärdienst eingezogen. „Es wurde jeder eingesetzt, der etwas Gutes an der Front bewirken konnte“, sagt Donya.
Wenn sie heute von dem Moment erzählt, in dem ihr Vater mit seinem LKW über eine Brücke davonfuhr, sammeln sich Tränen in ihren Augen. Sie selbst war damals zu jung, um das Geschehen richtig einordnen zu könne: „Ich hatte keine Gefühle.“ Ihr Hund lief dem LKW hinterher. Noch aus der Ferne sah Donya ihren Vater und den Hund verschwinden. Beide hat sie nie wiedergesehen.
Kurz darauf verließ auch der Rest der Familie Brodsky, bestehend aus Donya, ihrer jüngeren Schwester Sina, ihrer älteren Schwester Rakil, ihrer Mutter und ihrem Großvater, Fraydorf. Am 17. August 1941 marschierten die Deutschen in das Dorf.
Die Flucht bezeichnet Donya als ein großes „Umherirren“. Sie gelangten mit Hilfe eines kleinen Fuhrwerks bis ans Ufer des Stroms Dnjepr. Dort herrschte Chaos. Die Menschenmassen wollten alle auf ein kleines Schiff, um so das Wasser zu überqueren.
Frau Brodskaja mit ihren drei Kindern und dem Großvater wurde der Zutritt zum Schiff gewährt. Am anderen Ufer angekommen, übernachteten sie im Wald. Dann setzten sie ihre Flucht fort. Schließlich gelangten sie an einen Bahnhof und stiegen in einen Zug ein.
Donya erinnert sich:
„Viele Menschen steigen ein, es gibt keinen Sitzplatz. (…) Plötzlich stoppt der Zug. Ein Bombenangriff! Rakil beginnt zu hyperventilieren. Die Mutter versucht sie zu beruhigen. Immer wieder greifen Flugzeuge den Zug an. Alle Menschen drängen auf einmal hinaus, sie laufen in den umliegenden Wald hinein. Sie rennen in unterschiedliche Richtungen und es ist unglaublich laut. Chaos!
Die Mutter will nicht, dass ihre Familie den Zug verlässt. Sie befürchtet, dass sie sich dann verlieren würden. Rakil aber läuft plötzlich mit den anderen hinaus. Sie verschwindet in der Menschenmasse im Wald. Während der Großvater, die Mutter, Sina und Donya im Zug zurückbleiben. Der Großvater kann wegen seines hohen Alters die Sitzbank des Zuges nicht verlassen.
Donya hört die Schreie der Menschen. Bomben schlagen ein, Menschen fallen zu Boden. Sie sieht die Flugzeuge am Himmel, allerdings weiß sie nicht, in welch großer Gefahr sie sich befinden. Sie sieht allein die Verzweiflung ihrer Mutter: erkennt sie in ihren Augen, hört sie in ihren Schreien nach Rakil.
Donya spürt eine immense Furcht. Die Menschen kommen bereits aus dem Wald zurück. Rakil aber ist nicht dabei. Endlich trägt jemand sie auf seinen Armen zum Zug. Sie hat sich im Wald in einer Grube verkrochen und lange dort alleine gelegen, zusammengekauert und voller Angst.“
Nach insgesamt drei Monaten auf der Flucht, erreichte die Familie schließlich den Norden des Kaukasus. Dort wurden sie von einer muslimischen Familie aufgenommen. Donyas Mutter musste viel arbeiten, um ihre Familie ernähren zu können. Sina wurde krank. Der Großvater verstarb. 1945, als der Krieg endlich vorbei war, begab sich die Familie auf den Heimweg.